Die Frau, die ich sein will, ist mutig. Sie scheut sich nicht davor, die stille Leinwand mit sprechenden Linien zu bekleiden. Noch bevor sie die Texturen und Nuancen ihrer Materialien kennt, zieht ihr Pinsel los, die Fläche zu erkunden. Lebendig leuchten die Farben vor ihr auf, und das bestärkt sie in ihrer Tätigkeit. Denn das Bild, das die Leinwand eines Lebens trägt, ist nicht mehr oder weniger als der sichtbare Ausdruck dessen, was im Innern desselben geschieht.
Lange malte ich Meereswogen. Dann kamen Schiffe dazu. Als ich ein Kind war, wurde das Glück vor mir ausgebreitet, und stolz ging ich darauf wie auf einem edlen Teppich. Später, als Mädchen, erkannte ich: Das Glück ist ein angenehmer, aber kein treuer Begleiter. Es kann sich verabschieden und dann doch wieder, unangekündigt und unstet, ins eigene Leben zurückkehren. Auf dem Grund allen Glücks liegt etwas, womit wir nicht gerechnet hätten: Es gibt uns nicht, dass wir uns jederzeit glücklich fühlen, doch wenn wir es haben, ist uns wahres, ewiges Glück zugesichert. Es ist der Glaube an Jesus.
Auch als Mädchen ging ich. Manchmal spürte ich unfreundliches Gestein und kaltes Gras unter meinen Fusssohlen, manchmal empfing mich der weiche Teppich. Während ich ging, suchte ich den Grund des Glücks – den Glauben – in den Landschaften, durch welche ich zog. In jedem Antlitz, in das ich blickte, in den Wolken, in den tanzenden Ästen im Wind hielt ich nach einer Berührung Jesu Ausschau, nach einem Eintritt Seiner kraftvollen Liebe in meine kleine Welt. Ich hoffte, im Vorbeigehen ein Zeichen Seiner Nähe zu erhaschen. Ich hoffte, Er würde mir auf dem Weg, den ich eingeschlagen hatte, entgegenkommen. Und tatsächlich liess Er sich von mir finden. Und ich ging mit Seiner Hilfe auf einer Strasse, die aus vielen Stimmen bestand.
Nun, da ich eine Frau wurde, gab man mir eine weisse Leinwand, eine weitläufige Landkarte. Viele Stimmen verstummten und luden ein, das eigene Schweigen aufzuheben. Ich versuchte, durch die Landschaft zu ziehen, doch jeder Schritt ins Nichts erfüllte mich mit der Scham, die einen befällt, wenn man aus seinen alten Kleidern herausgewachsen ist und sie dennoch am Leibe kleben spürt. So wusste ich bald: Ich werde nicht mehr ein Mädchen sein, deren Blicke die Umgebung streifen. Ich werde nicht mehr gehen und unterwegs nach dem Grund des Glücks suchen. Die Frau, die ich sein will, ist ein Pfeil. Sie erkennt und strebt an. Einmal malte ich Meereswogen. Dann kamen Schiffe dazu. Auf den Schiffen standen sie mit ihren Ferngläsern, deuteten in die Weite. Bewegung kam in die Bilder, dann hörte man bald die Schiffsleute rufen: Land in Sicht.
Schöne Gedanken, Glück findet man in sich selbst. Über die Scham forsche weiter, sie spiegelt i.m.A. nur die von einem selbst vermuteten Erwartungen anderer Menschen. Ich wünsche, wir können sie ablegen und weiter offen wie ein Kind durch die Landschaft des Lebens stolpern.
„Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen“ (Mt 18,3).
LG, Marcus
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Danke für deinen Beitrag! Das ist ein wertvoller Aspekt. In einer gewissen Hinsicht sollen wir ja wirklich kindlich bleiben. Aber ich denke an Situationen, in denen das Leben Entscheidungen von uns verlangt und wir als mündige Personen Schritte gehen müssen, die Konsequenzen haben. Ich denke an die Richtung, die man seinem Leben immer wieder durch getroffene Entscheidungen verleiht. Das setzt voraus, dass man sich bei einer Weggabelung nicht „ad hoc“ entscheidet, welche Strasse man wählt, sondern sein Ziel vor Augen hat. Und das unterscheidet schlussendlich, so glaube ich, den Erwachsenen vom Kind: das eigene Leben mutig und verantwortungsbewusst in die Hand nehmen zu können.
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